Doch auch das ist genau genommen noch untertrieben: Seit geschlagenen zwei Jahren ist Copeland – natürlich weltbekannt als Mitbegründer und Schlagzeuger von The Police – nun schon mit jener epischen Liveshow auf Tour, in deren Rahmen er die Klassiker des UK-Trios von der Warte des Filmsoundtrack- und Orchesterkomponisten neu denkt, als der er auch schon seit Jahrzehnten bekannt ist. Weltweit ausverkaufte Hallen sind das Resultat. Diesen einzigartigen Ansatz hat er nun erstmals auf einem Album festgehalten – Police Deranged for Orchestra. Basierend auf einigen dieser „Derangements“ – ein Kofferwort zwischen Neuarrangement und deranged: gestört – die Copeland aus Multitrack-Mitschnitten und Live-Improvisationen aus den Anfangstagen der Band kreiert hat, nimmt er seine Zuhörerinnen und Zuhörer mit auf eine komplett einzigartige und absolut unvorhersehbare Reise durch den gesamten Katalog von The Police: Ikonische Hits wie „Roxanne“, „Every Breath You Take“, „Message In A Bottle“ oder auch „Don’t Stand So Close To Me“ rückt er damit in ein komplett anderes, einzigartiges und vollkommen neues Licht.
Die neuen Arrangements sind dabei gleichermaßen leinwandgroß und abenteuerlich, wenn Copeland die Grenzen zwischen Pop, Klassik und World Music ein für alle Mal auslöscht und diese so unfassbar bekannten Melodien auf unbekanntes Terrain überführt. Auch die Darbietungen und Performances, für die neben Copeland und einem kompletten Orchester auch der Bassist Armand Sabal-Lecco (Paul Simon), der Gitarrist Rusty Anderson (Paul McCartney) sowie die Sängerinnen Amy Keys, Carmel Helene und Ashley Támar verantwortlich zeichnen, darf man ohne Übertreibung als virtuos bezeichnen. Unterm Strich sind es atemberaubende und vollkommen neue Aspekte offenbarende Interpretationen von einigen der größten Songs der letzten 50 Jahre: Ein Album, das wie eine ausgelassene, überlebensgroße Liebeserklärung an die Musik selbst wirkt – und an deren Fans. Man spürt dabei immer wieder, wie grenzenlos die Leidenschaft des Multiinstrumentalisten Stewart Copeland ist, wie sehr er dafür brennt, als Künstler zu wachsen und immer wieder kreatives Neuland zu erforschen. „Durch dieses Projekt habe ich sehr viel über diese Songs und auch über mich als Komponisten und Musiker gelernt“, sagt er dann, „aber letztendlich habe ich mit dieser Show doch immer eine zentrale Mission verfolgt: Ich wollte das Publikum damit elektrisieren – und das ist es, was wir hier machen.“
In Virginia geboren, aufgrund vieler familiärer Umzüge danach zwischen Kairo und Beirut, London und Somerset aufgewachsen, war Copeland zunächst von ganz viel Klassik und Jazz umgeben, bis Jimi Hendrix in ihm dem Traum des Rock & Roll entfachte. Er wollte mehr von dieser Rebellion. Nachdem er dann das College in den Staaten besucht hatte, kehrte er Mitte der Siebziger zurück nach England, um dort in die Punk-Szene einzutauchen. Wenig später gründete er The Police gemeinsam mit Sting und dem Gitarristen Andy Summers, der das Trio schließlich komplettieren sollte. Obwohl die ersten Jahre gelinde gesagt mager waren, avancierte die Band schließlich zu einer der größten, erfolg- und einflussreichsten Gruppen aller Zeiten: Sie verkauften über 75 Millionen Platten und konnten gleich sechs GRAMMY Awards in Empfang nehmen, während die fünf Klassiker-LPs, die sie vorlegten, rund um den Globus Platz 1 der Albumcharts belegten. „Also in den ersten zwei, drei Jahren funktionierte gar nichts bei uns“, erinnert sich Copeland, der demnächst auch ein neues Buch veröffentlichen wird: Stewart Copeland’s Police Diaries, basierend auf persönlichen Tagebucheinträgen aus den Jahren 1976-1979. „Die Chemie stimmte natürlich, und uns allen war klar, dass wir die Richtigen gefunden hatten. Also investierten wir viel Arbeit und hielten weiter zusammen – ohne genau zu wissen, wohin diese Reise führen würde.“
Auch sein erster Vorstoß in die Welt der Orchesterarrangements liegt schon vier Jahrzehnte zurück: Bereits 1983 kassierte Copeland für seine Filmmusik zu Francis Ford Coppolas Rumblefish eine Nominierung bei den Golden Globes. Als sich The Police drei Jahre später auflösen sollten, begannen jene zwei Jahrzehnte, in denen er vor allem als gefragter Komponist für TV- und Filmproduktionen und Videospiele arbeitete – weshalb er ab sofort mit so unterschiedlichen Größen wie Oliver Stone oder John Hughes, mit Anjelica Huston oder Richard Linklater im Studio saß.
„Die Arbeit an Soundtracks zwingt dich dazu, wirklich alles auszuprobieren, dich überall hin zu bewegen, alles zu tun, jeder emotionalen Nuance nachzugehen, die Musik hervorrufen kann“, weiß Copeland zu berichten. „Anfangs habe ich noch externe Arrangeure dazu geholt, um meine Kompositionen zum Leben zu erwecken, aber nach einer Weile begann ich dann damit, alles im Alleingang zu machen: Ich lernte, wie man Bläser am effektivsten einsetzt, wann man eine Klarinette und wann man eine Oboe ins Spiel bringt, und wie man nicht nur die Noten vorgibt, sondern auch die Art und Weise, wie sie gespielt werden sollen.“
Copeland war schon immer ein Künstler, der einen DIY-Ansatz verfolgt. Schon Ende der Siebziger mischte er unter dem Namen Klark Kent die UK-Charts auf – und übernahm dabei sämtliche Instrumente sowie den Gesangspart selbst. Als er dann auch in der Welt der Orchesterarrangements ähnlich versiert und unabhängig war, konnte er sich weiter frei entfalten: Auf seine Kompositionen für Film und TV folgten ganz unterschiedliche Werke aus seiner Feder, die mal in Richtung Oper gingen, mal in Richtung Ballett oder klassisches Konzert. Und während Copeland dann die Welt bereiste, um mit verschiedenen Orchestern in diesen anderen Kontexten aufzutreten, streute er hin und wieder auch obskure Police-Songs ein in diese Live-Sets – wobei die Reaktionen jedes Mal dermaßen umwerfend waren, dass er schließlich den Plan fasste, eine komplette Show mit Klassikern des Trios auf die Beine zu stellen. Doch natürlich tat er auch das auf seine unverwechselbare Art, indem er sich mit seinen Orchestrierungen zunächst auf Alternativ-Versionen jener Songs bezog, die er für den Soundtrack zum Dokumentarfilm Everyone Stares: The Police Inside Out (2006) zusammengestellt hatte.
„Als ich dann in die Multitrack-Mitschnitte der Original-Sessions und Live-Performances eintauchte und mich damit intensiv befasste, entdeckte ich all diese verlorengegangenen Gitarrensoli, unglaublich viele Basslines und improvisierte Gesangsparts, die einfach mal viel zu cool waren, um sie dort in der Versenkung zu lassen“, erzählt er weiter. „Diese ‘Derangements’, wie ich sie schließlich nannte, waren um all jene Parts gestrickt, die wir als Band aufgenommen hatten, sie stammten also schon aus derselben Sphäre, aber zugleich waren sie ganz anders und richtig spannend.“
Durch Copelands ambitionierten Ansatz als Orchesterarrangeur, durch Produzent/Mischer Craig Stuart Garfinkles Händchen für die richtigen Sounds und die umwerfende R&B/Girl-Group-Energie der beteiligten Sängerinnen nehmen die Stücke auf dem neuen Album wiederum eine ganz neue Gestalt an: „Don’t Stand So Close To Me“ wirbelt geradezu durch die Luft, während der „Demolition Man“ von Hochspannung unter Strom gesetzt wird und „Every Little Thing She Does Is Magic“ die perfekte Balance zwischen Anspannung und Loslassen findet – ein echter Drahtseilakt! Selbst eher in Richtung Deep-Cuts gehende Tracks wie das stattliche „Tea In The Sahara“ oder das siedende „Murder By Numbers“ klingen hier wie astreine A-Seiten-Klassiker – wobei sie natürlich den weltbekannten Megahits doch nicht so ganz die Show stehlen können: „Roxanne“ wird zu einer komplett anderen Art von Hymne, das treibende „Message In A Bottle“ nimmt die Leute mit auf eine rasante Spritztour, und „Every Breath You Take“, das mit einem zweiminütigem Instrumental-Intro beginnt, rückt auch diesen zeitlosen Meilenstein in ein vollkommen neues Licht.
„Während ich mich also derart intensiv mit diesen Tracks befasste, kam mir irgendwann eine echt unangenehme Einsicht: Also bitte nicht Sting verraten, dass ich das so gesagt habe, aber mir wurde klar, dass dieser Mann einfach mal ein verdammtes Genie ist“, lacht Copeland abschließend. „Und als ich mich dann mit Andys Backgroundgesängen befasste, hatte ich dieselbe Offenbarung: Ich hatte nach der Arbeit also noch mehr Respekt vor diesen Jungs, als ich es davor schon hatte. Ja, und dieses ganze Orchesterzeug drumherum, das ist eigentlich nur meine Rache dafür.“ Doch wie gesagt: Die Leute lieben es einfach.